Nach gut sechs Monaten Unterschriftensammlung war es am Dienstag so weit. Unter Beobachtung zahlreicher Bürgerinnen und Bürger beriet der Hauptausschuss des Gemeinderats über unser Bürgerbegehren. Die Stadtverwaltung hatte dem Gremium vorgeschlagen, den Fuß- und Radentscheid für unzulässig zu erklären. Sie schlug stattdessen folgenden Alternativbeschluss vor:
Im Sinne des Bürgerbegehrens beschließt der Gemeinderat nach Vorberatung im Hauptausschuss die Verwaltung zu beauftragen, sogenannte modale Filter zu prüfen und darüber hinaus jährlich im Rahmen von Dialogveranstaltungen die Öffentlichkeit über den Fortschritt der Umsetzung von Maßnahmen zugunsten des Fuß- und Radverkehrs zu informieren.
Der Gemeinderat ermächtigt die Verwaltung mit den Initiatoren des „Fuß- und Radentscheids“ in Gespräche über eine Verbesserung des Fuß- und Radverkehrs Stadtkreis Karlsruhe einzutreten und wird die Ergebnisse dieser Gespräche auch den zukünftigen Planungen nach Möglichkeit zugrunde legen.
Bevor die Gemeinderäte an der Reihe waren, hatten zuerst die Vertrauenspersonen als Vertreter der Unterzeichnenden das Wort. Michael Reichert sprach zehn Minuten für uns. Er kritisierte die kurze Vorbereitungszeit, die uns für die Vorbereitung zur für die Sitzung blieb, als „Frechheit“ und bat um eine Vertagung des Tagesordnungspunktes. Anschließend ging er auf die fachliche Kritik der Stadtverwaltung in Bezug auf die Unumsetzbarkeit und die Kostenschätzung ein.
In der anschließenden Aussprache kritisierte Aljoscha Löffler (Grüne), dass in anderen Städten die Ersatzbeschlüsse der dort unzulässigen Radentscheide von besserer Qualität gewesen wären, als es in Karlsruhe der Fall sei. „Weniger hätten Sie nicht anbieten können“, warf er Oberbürgermeister Frank Mentrup vor.
Tilman Pfannkuch (CDU) war überrascht, dass der sonst beratende ADFC einen Bürgerentscheid möchte. Er fühle sich vom Stadtplanungsamt gut beraten.
Für Yvette Melchien (SPD) war eine Vertagung denkbar. Sie warb für eine ausgleichende Position.
Karin Binder (Linke) sprach sich für eine Vertagung auf die Gemeinderatssitzung am 10. Oktober aus, in der eigentlich nur die Haushaltsreden der Fraktionen vorgesehen seien. Lediglich modale Filter zu prüfen, genüge – verglichen mit den Inhalten des Bürgerbegehrens – nicht.
Friedemann Kalmbach (FW|FÜR) kündigte eine Enthaltung wegen widersprüchlichen juristischen Meinungen an und sah Differenzen in der Geschwindigkeits- und Kostenfrage.
Lüppo Cramer (KAL/Die Partei) hielt die Vorbereitungszeit für eine Aussage über die Zulässigkeit zu kurz.
Thomas H. Hock (FDP) schloss sich Cramer weitestgehend an.
Auf die Wiedergabe des unsachlichen AfD-Beitrags wird an dieser Stelle verzichtet. Die parteilose Stadträtin Ellen Fenrich bezeichnete uns als „Radlobbyisten“ und sah zu Fuß Gehende benachteiligt.
In einem langen Monolog hob Oberbürgermeister Mentrup die hervorragende Arbeit seiner Verwaltung hervor und, dass es ja nicht sein könne, dass die Bürgerschaft über Baumaßnahmen, Bauzeiten und Baukosten entscheide. Er bezog auch Formulierungen über Vorhaben und Aktivitäten der Verwaltung mit ein, die weder in Inhalt noch Substanz den Fuß- und Radentscheid tangieren. Zuguterletzt schwang er auch noch die Keule der Baukosten.
Er kündigte seinen Widerspruch gegen den Gemeinderatsbeschluss an, falls der Gemeinderat sich für eine Zulässigkeit entscheiden werde, denn die Zulässigkeit sei eine juristische, keine politische Entscheidung.
Elisabet Loris-Quint merkte zum einen an, dass sie in der 17-seitigen Stellungnahme Meinungen und Behauptungen des Zentralen Juristischen Dienstes (ZJD) gelesen hätte, die in keinem Punkt juristisch begründet oder bewiesen wären. Zum anderen korrigierte sie die Aussage Mentrups, dass es der Initiative des Fuß- und Radentscheids nur darum ginge, schnellstmöglich die vorgeschlagenen Maßnahmen umzusetzen. Sie stellte richtig, dass es nicht um Schnelligkeit gehe, sondern um Konstanz und Konsequenz bei der Realisierung der Maßnahmen. Erhielte die Initiative den Status eines legitimen Gremium, könnte sie die Aufgabe besser in Zusammenarbeit mit der Stadtplanung bewältigen.
Es ist schon erstaunlich, dass in einer Sitzung des Hauptausschusses Reden geschwungen werden und Gesichtspunkte zum Autoverkehr vorgebracht werden, die absolut kein Gegenstand des Bürgerbegehrens sind. Manch ein Beitrag wiederholt einfach Standpunkte, die mehrfach durch verschiedene Gemeinderatssitzungen bekannt sind und die überhaupt nicht mit dem Thema des Tagesordnungspunktes übereinstimmen. Zudem spricht es Bände, dass ein Oberbürgermeister seinen Gemeinderatsmitgliedern, die seine Arbeit und die seiner Verwaltung kennen, in so einem langen Redebeitrag erklären muss, welche tolle Visionen er und seine Mitarbeitenden haben (wenn sie auch wirklich ernst wären), welch Arbeit seine spitzenmäßige Verwaltung leiste (auch diese kocht nur mit Wasser), wie knapp die Kassen der Stadt seien (was alle wissen). Zugegebenermaßen: Man hat immer dafür Geld, wofür man das Geld einsetzt.
Am Dienstag, den 19. September tagt an gleicher Stelle der Gemeinderat um 15:30 Uhr. Der Fuß- und Radentscheid wird unter Tagesordnungspunkt 8 behandelt werden. Ob eine Vertagung eine Mehrheit findet, wird sich zeigen.
Rede von Michael Reichert
Sehr geehrte Damen und Herren,
vielen Dank, dass Sie uns als sachkundige Bürgerinnen und Bürger zur heutigen Sitzung geladen haben.
Die Position der Stadtverwaltung, dass das Bürgerbegehren unzulässig sei, wurde uns am Freitagnachmittag mitgeteilt. Heute schon soll eine Vorberatung darüber erfolgen. Herr Oberbürgermeister, erwarten Sie ernsthaft, dass wir in dieser kurzen Zeit uns komplett mit den 17 Seiten Sitzungsvorlage und Aktenvermerk auseinander setzen können? Tausendfacher Bürgerwille darf nicht einfach ohne gründliche Prüf- und Äußerungsmöglichkeit vom Tisch gewischt werden. Wissen Sie, dieses Vorgehen ist eine Frechheit – sowohl gegenüber der ehrenamtlichen Initiative als auch gegenüber den ehrenamtlich tätigen Gemeinderäten.
Eine angemessene Vorberatung im Hauptausschuss ist unter diesen Umständen nicht möglich. Wir möchten Sie, liebe Gemeinderäte, daher bitten, den Tagesordnungspunkt zu vertagen.
Jetzt zur Sache:
Die Forderungen des Bürgerbegehrens lassen der Verwaltung zwar Gestaltungsspielraum, aber die Qualitätsstandards sind klar definiert. Der Wille der 17 000 Unterzeichnenden ist damit deutlich erkennbar. Hinzu kommen zahlreiche Geschäftsleute und Verbände als Unterstützer. Die Bürgervereine Beiertheim, Bulach, Grünwinkel, Knielingen und Untermühl- und Dornwaldsiedlung unterstützen das Bürgerbegehren ebenfalls.
Unser Bürgerbegehren wurde vorab von einer erfahrenen Anwaltskanzlei auf Zulässigkeit geprüft. Wir bezweifeln die Einschätzung des Zentralen Juristischen Dienstes und prüfen aktuell mit der Kanzlei auch schon Rechtsmittel einzulegen.
Die Sitzungsvorlage verweist auf einen Maßnahmenkatalog zur Umsetzung des Karlsruher Programms für Aktive Mobilität. Der Maßnahmenkatalog war eine nichtöffentlichen Vorlage im Planungsausschuss, die man uns erst gestern Nachmittag auf Nachfrage zur Verfügung gestellt hat.
Die Stadtverwaltung wirft uns vor, dass wir mit ihr doch einer Meinung seien und es uns bloß nicht schnell genug voran ginge. Das stimmt so nicht. Das Bürgerbegehren beinhaltet nicht nur eine Zeitvorgabe, sondern viele inhaltliche Maßnahmen, die teilweise aktuell fehlen (z.B. Radvorrangrouten und Quartiersplätze). Die Geschwindigkeitsvorgabe ergibt sich aus Pariser Klimaabkommen und Zielen im Karlsruher Programm für Aktive Mobilität.
Die von der Verwaltung behauptete Undurchführbarkeit aufgrund der langen Umsetzungszeiträume sind den hohen Standards geschuldet. Diese hat sich die Stadtverwaltung selbst aufgegeben. Man wird keine kurzen Vorlaufzeiten haben, wenn man bevorzugt komplette Straßen samt Leitungen erneuert. Zur Erreichung der Klimaziele, der Ziele des Bürgerbegehrens und des Karlsruher Programms für Aktive Mobilität bedarf es der Anwendung einfacherer Lösungen. Beispielsweise kann man Gehwegnasen nicht nur durch das Versetzen von Bordsteinen herstellen, sondern stattdessen auch Sperrflächen markieren und Poller, Fahrradständer oder Sitzbänke errichten.
Lange Zeiträume für die Umsetzung könnten auch Zeichen struktureller Probleme sein, z.B. einer fehlenden oder falschen Zielvorgabe und Unterstützung durch die Verwaltungsspitze, Behinderungs- und Verzögerungstaktiken im Verwaltungsapparat. Nehmen Sie die Arbeitsweise der Verwaltung nicht als gottgegeben hin.
Wir haben im Vorfeld untersucht, an welchen Straßen die geforderten Straßenquerschnitte (Geh- und Radwegbreiten bei Beibehaltung des Baumbestands, einer Fahrbahn und ÖPNV-Anlagen) möglich sind. Darauf basieren die Zahlenangaben im Bürgerbegehren. Diese Liste baulicher Maßnahmen liegt der Verwaltung seit Herbst letzten Jahres vor.
Die Stadtverwaltung ist nach § 21 Abs. 3 Gemeindeordnung verpflichtet, bei der Erstellung der Kostenschätzung mitzuwirken. Dies ist nicht erfolgt. Unsere Anfrage wurde trotz mehrfacher Erinnerung verschleppt. Wir haben die Kostenschätzung auf Basis unserer Machbarkeitsuntersuchung daraufhin selbst in Auftrag gegeben.
Auch Maßnahmen, die derzeit schon in Planung sind, können auf die Ziele des Fuß- und Radentscheids angerechnet werden.
Mit dem Karlsruher Programm für Aktive Mobilität hat der Gemeinderat die Verwaltung aufgefordert, bei Planungen konsequent die Aktive Mobilität zu fördern. Sicherheit und Belange des Fuß- und Radverkehrs gehen laut dem Programm denen des motorisierten Individualverkehr vor. In ihrer Stellungnahme wirft die Verwaltung unserem Bürgerbegehren eine Unumsetzbarkeit wegen konkurrierender Nutzungsansprüche vor. Was heißt das? Es heißt, dass die Verwaltung das Karlsruher Programm für Aktive Mobilität gar nicht mehr umsetzen möchte. Und natürlich erst recht nicht unser Bürgerbegehren, das konkrete und messbare Vorgaben macht.
Unserer Priorisierung von Fuß-, Radverkehr, ÖPNV und Stadtgrün ist keine politische Idee, sondern sie basiert auf dem Stand der Technik. Dieser ist in den Richtlinien und Empfehlungen der Forschungsgesellschaft für Straßen und Verkehrswesen festgeschrieben. Diese wurden vom Gemeinderat als verbindliche Planungsvorgabe eingeführt. Letztes Jahr wurde die sogenannte E Klima veröffentlicht, die das bestehende Regelwerk an die Rechtssprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Klimaschutz anpasst. In der E Klima steht klar und deutlich, dass dem Fuß- und Radverkehr und dem ÖPNV eine höhere Priorität als dem motorisierten Individualverkehr einzuräumen ist.
Ferner sind die bisherigen Mindestmaße für Radverkehrsanlagen nicht mehr anzuwenden.
Auch dem Angebot an Parkständen im öffentlichen Straßenraum soll weniger Priorität als dem Stadtgrün und den umweltfreundlichen Verkehrsmitteln eingeräumt werden. Das ist keine Einzelmeinung der Initiatoren des Bürgerbegehrens, sondern Stand der Technik, der auch in Gerichtsverfahren herangezogen wird.
Die Stadtverwaltung zieht sich in ihrer fachlichen Bewertung auf mangelnde personelle Ressourcen zurück. Sie schreibt aber an keiner Stelle, dass mit mehr oder anders eingesetzten Ressourcen mehr leistbar wäre. Wir deuten das als weiteres Zeichen, dass man das Karlsruher Programm für Aktive Mobilität nicht umsetzen möchte.
Abschließend möchten wir anmerken, dass für ein Bürgerbegehren nur straßenbauliche Maßnahmen zulässig sind, keine reinen Markierungslösungen. Diese sind nämlich verkehrsrechtliche Anordnungen und liegen in der Zuständigkeit der Stadtverwaltung. Unsere Machbarkeitsuntersuchung beinhaltete daher teurere Maßnahmen, als sie später tatsächlich in der Umsetzung werden könnten.
Bis Freitagmittag werden wir im Rahmen der förmlichen Anhörung nach § 21 Gemeindeordnung eine schriftliche Stellungnahme einreichen und auch auf die juristischen Argumente des ZJD eingehen.
Vertagen Sie den Tagesordnungspunkt bitte.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.